
Für das Museum Elbinsel Wilhelmsburg organisiert Peter Barkassenfahrten vom Jungfernstieg bis zum Wilhelmsburger Rathaus. Peter vermarktet den Insellikör ‚Wilhelmsburger Deichbruch‘. Peter hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. Peter macht das alles auch für Ulla, seine 2008 verstorbene Frau. Ihr Leben lang kämpfte sie diplomatisch und mit einem Lächeln auf den Lippen für den Stadtteil mit dem schlechten Ruf, in dem sie seit ihrer Jugend lebte und den sie von Herzen liebte. Aber Peter ist nicht wie Ulla und ihr Erbe lastet manchmal ganz schön schwer auf seinen Schultern. Ullas größter Traum war es, dass einmal eine der weiß-roten Alsterbarkassen, ein „Alsterschwan“, mit Menschen aus den vornehmen Stadtteilen bis nach Wilhelmsburg tuckert. Weil kein Barkassenunternehmer diese Tour für rentabel hielt, charterte Ulla kurzerhand selbst ein Schiff und seitdem gibt es die immer ausgebuchten Fahrten. Peter sagt, dass Ulla sich sehr über die Entwicklung ihrer Insel gefreut hätte, vor allem über die vielen neu zuziehenden jungen Leute. Und deshalb freut sich auch er – auf die ihm eigene grummelige Art und Weise.

Baris wohnt im wilden Korallusviertel gleich bei der S-Bahn Wilhelmsburg. Auch wenn alle von Ghetto reden und es natürlich Prügeleien gibt, ist er hier gut groß geworden, erzählt er, und macht sich mit wippender Fellkapuze auf den Rückweg von der Bushaltestelle nach Hause. Die Schule hat der charismatische Baris vor kurzem abgeschlossen und seine Ausbildung hat noch nicht begonnen. So treibt er in einem Schwebezustand des Nichtstuns durch Wilhelmsburg, zwischen dem Tonstudio im Haus der Jugend, dem Playstationspielen zu Hause und dem Moscheebesuch, den er jeden Freitag mit seinem Vater unternimmt. Baris Eltern stammen aus einem kleinen Dorf in der Türkei. Als Baris ein Baby war, kamen sie nach Deutschland, als er ein Jahr alt wurde, trennten sie sich. Seine Mutter ging zurück in die Türkei, sein Vater blieb mit Baris in Wilhelmsburg und arbeitet seitdem harte Nachtschichten auf dem Großmarkt. Baris ist hin- und hergerissen zwischen Mutter und Vater, der Türkei und Deutschland, Religion und Party, Erwachsen sein und seinen besten Freund - Schildkröte Schiggy – zu versorgen. Wo geht’s hin mit seinem Leben? Wo es langgeht, weiß immer nur der Bus.

Die Fotografin Julie wohnt im angesagten Reiherstiegviertel. Bis zu der einen 13-Endhaltestelle ist sie noch nie gefahren, denn sie ist gerade erst hierhergezogen. Dass sie noch nie in Kirchdorf-Süd war, hat sie mit den meisten alteingesessenen Wilhelmsburgern gemeinsam. Für viele ist das Hochhausquartier ein weißer Fleck auf der mentalen Wilhelmsburg-Karte. Aber Julie ist anders, sie hat sich fest vorgenommen, die Strecke irgendwann einmal zu Ende zu fahren. Auch wenn sie dort nur die berüchtigten Hochhäuser und einen Lidl vermutet. Nach Wilhelmsburg hat Julie der Traum vom eigenen Fotostudio geführt. Den kann sie hier vewirklichen, weil die Mieten noch bezahlbar sind. Julie ist inspiriert von der Insel, beginnt Schrottplätze und Läden zu fotografieren, die schon ein paar Wochen später wieder verschwunden sind. Sie wird zur Bewahrerin der visuellen Schätze des Stadtteils und ist doch selbst Teil des Wandels. Welche Position ist ihr und ihrem Freund im Gentirifizierungskarussel zugedacht? Sind sie die gefürchteten Gentrifizierer? Oder auch nur Menschen, die versuchen hier zu überleben wie alle anderen auch?

Der Bus ist ein guter Spiegel, wenn man die Veränderung der Bevölkerung wahrnehmen will, sagt Mathias, während er im Gelenk der 13 steht und die Fahrgäste beobachtet. Denn jeder fährt mal mit der 13, egal ob Bänker oder Asylbewerber. Mathias ist der Vater der Soulkitchen Halle, er hat Fatih Akins Vision für die leerstehende Lagerhalle Wirklichkeit werden lassen. Aus der Filmkulisse wurde eine echte Perle für Wilhelmsburg, alle lieben die Halle. Das Programm reicht von Disco-Tischtennis über Swingtanz-Stunden bis hin zu ernsten Theaterstücken oder wilden Metall-Konzerten. Trotz ihres Ruhmes bis weit über die Grenzen Hamburgs hinaus, ist die Soulkitchen Halle immer vom Abriss bedroht. Doch Mathias kämpft. Gegen die Bauprüfabteilung, gegen widerspenstige Stromkabel, alte Kühlschränke und seine Vermieter. An seiner Seite kämpfen viele: Gregor, Ingo, Wolfgang, Klaus und 6.796 Menschen, die die Online-Petition für den Erhalt der Halle bisher unterschrieben haben. Die Realität hat den Film inzwischen eingeholt. Augenblicklich ist die Soulkitchen Halle wieder einmal endgültig geschlossen. Aber Mathias kämpft weiter. Und alle kämpfen mit ihm.

Am Steuer der 13 thront Joseph Bowers Ohene-Mantey, genannt Kofi. Seit vielen Jahren ist er Busfahrer auf dieser Linie, fast verwachsen mit seinem Gelenkbus. Jeder in Wilhelmsburg kennt ihn, denn auf seinem Kopf sitzt eine auffällige, altertümlich anmutende Dienstmütze. „Captain Jack“ wird Kofi deshalb liebevoll von seinen Passagieren genannt. Dabei heißt „Ohene“ „König“ und tatsächlich waren Kofis Vorfahren in Ghana Könige. Dieses Aristokratische spürt man bis heute, wenn Kofi den Bus sicher durch die Straßenschluchten lenkt – und es ist kein Wunder, dass er in dieser Position auch seine heutige Frau kennengelernt hat… Kofi chauffiert die Wilhelmsburger über die Elbinsel und die Filmzuschauer durch „Die Wilde 13“. Tag für Tag beobachtet er, wie die Baustellen weiter in den Himmel wachsen und er hört gut zu, wenn seine Fahrgäste über den Wandel in Wilhelmsburg sprechen, Angst haben vor den steigenden Mieten oder Sorge vor Verdrängung. Kofi wünscht sich, dass Wilhelmsburg kein Stadtteil für die Reichen wird, sondern ein Ort für jeden bleibt, der hier leben möchte.